Bekenntnis für Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt
In der Stadtvertretung der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg wurde heute der Antrag von 26 Ratsfrauen und Ratsherren aus 5 Parteien zu einem "Bekenntnis für Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt" klar und deutlich angenommen.
Daneben bekennen sich die Stadtvertreter:innen in dem Beschluss auch zur Regenbogenflagge als internationalem und überparteilichem Symbol sowie zum Schutz von Minderheiten.
Darüber hinaus "wird die Stadtverwaltung beauftragt, Maßnahmen zur Förderung einer angemessenen und dauerhaften Sichtbarkeit von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft zu erarbeiten".
Die Rede des Fraktionsvorsitzenden Michael Stieber:
Sehr geehrter Herr Stadtpräsident, Herr Oberbürgermeister, Ratsfrauen und Ratsherren, Mitarbeitende der Verwaltung, sehr geehrte Gäste!
Ich spreche zur Beschlussvorlage „Bekenntnis für Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt“.
Angesichts der vielen Gäste will ich sie noch einmal verlesen.
- Die Stadtvertretung bekennt sich im ersten Beschlusspunkt zu einer vielfältigen, toleranten und weltoffenen Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg und bekräftigt somit ihren Beschluss vom 7. September 2023 mit dem Gegenstand „Die Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg – weltoffen, tolerant und vielfältig“.
- 2. bekennt sich die Stadtvertretung zur Regenbogenflagge als einem internationalen Symbol für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit.
- 3. Vor diesem Hintergrund wird die Stadtverwaltung beauftragt, Maßnahmen zur Förderung einer angemessenen und dauerhaften Sichtbarkeit von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft zu erarbeiten und Vorschläge bis zum 21. Mai 2025 vorzulegen.
- 4. Die Stadtvertretung verurteilt jedwede Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten.
Vorneweg: Dies ist nicht meine Beschlussvorlage. Es ist kein Antrag meiner oder einer anderen Fraktion, es ist auch kein fraktionsübergreifender Antrag mehrerer Fraktionen zusammen. Es ist eine Beschlussvorlage, die eingebracht wurde von 26 Ratsfrauen und Ratsherren.
Jede und Jeder von ihnen hat dies für sich entschieden und begründet das ganz persönlich. Deshalb gibt es auch keinen einheitlichen Begründungstext in der Vorlage. Jeder Versuch, diesen zu formulieren, würde scheitern.
Denn den Einen ist am wichtigsten, noch einmal klarzustellen, dass die Stadt Neubrandenburg und ihre Stadtvertretung für Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt steht. Und dazu gab und gibt es ja auch zwei Beschlüsse der letzten 24 Monate:
- zunächst im Dezember 2022 der einstimmige Beschluss, die Charta der Vielfalt zu unterschreiben,
- dann im September letzten Jahres der Beschluss „Die Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg – weltoffen, tolerant und vielfältig“,
die beide auch nicht ausgehebelt oder aufgehoben wurden.
Dies angesichts des Verbotsbeschlusses vom Oktober noch einmal klar herauszustellen, ist eine zentrale Kernbotschaft für Ratsfrauen und Ratsherren. Diese nun noch einmal formulierte Bekräftigung des letztgenannten Beschlusses stellt zunächst einmal und vordergründig nicht die Regenbogenflagge in den Mittelpunkt.
In der öffentlichen Diskussion, in den unterschiedlichen Medien und auch in der Verständigung der Antragsteller kommt allerdings niemand um dieses internationale Symbol für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit herum. Deshalb identifizieren sich andere Ratsfrauen und Ratsherren eher über den zweiten Satz der vorliegenden Vorlage. Das betrifft schon auch mich und – hier spreche ich mal im Namen aller Antragsteller des letzten Jahres: GRÜNE, LINKE und SPD – die heutige Zählgemeinschaft.
Uns und mir ist dieser zweite Satz wichtig – wir erkennen den Regenbogen als ein seit 2000 Jahren historisch gewachsenes Symbol für Frieden, Aufbruch und Veränderung sowie für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen an.
Nun ist die Regenbogenflagge auch das selbstgewählte Symbol der queeren Community und wird von Kritikern gerne darauf reduziert. Was nach meiner Auffassung die Notwendigkeit ihrer Sichtbarmachung allerdings nicht vermindert: ist es doch diese queere Community, die im gesellschaftlichen Leben immer noch besonders schutzbedürftig ist.
- Auch in Mecklenburg-Vorpommern werden Menschen der queeren Community noch heute aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. ihrer geschlechtlichen Identität gesellschaftlich diskriminiert, indem sie Benachteiligung und Ausgrenzung erfahren.
- 18 % der Angehörigen dieser Community sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität bereits Opfer von Gewalt oder einer anderen Straftat geworden.
- Der Anteil an depressiven Menschen ist in der queeren Community mehr als doppelt so hoch wie bei heteronormativen Menschen.
- Auch das Suizidrisiko ist in diesem Personenkreis bis zu fünffach höher.
Also selbst, wenn man die übergreifende Symbolik für Frieden, Verständigung und Freiheit vernachlässigen würde, scheint mir auch und gerade eine dauerhafte Sichtbarmachung der Anliegen der queeren Community als gesellschaftlich besonders schutzwürdiger Minderheit aufgrund der Gewalt- und Verfolgungsgeschichte und der gesellschaftlichen Stigmatisierung in einem besonderen Maße gerechtfertigt.
Auch deshalb haben die Parteien, die heute eine Zählgemeinschaft bilden, in der letzten Wahlperiode zu zwei besonderen Anlässen Anträge eingebracht, genau diese Sichtbarmachung umzusetzen: anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) und zum Christopher Street Day 2021. Eine Vorlage wurde zurückgezogen und auch die später beschlossenen zwei Anläufe scheiterten scheinbar, weil die gesetzlichen Voraussetzungen noch nicht gegeben waren.
Aber unter anderem auch diese beiden Beschlüsse, in denen der Oberbürgermeister aufgefordert wurde, beim Innenministerium die Genehmigung für das Hissen der Regenbogenflagge zu CSD und IDAHOBIT zu beantragen, sorgten am Ende mit dafür, dass die Beflaggungsverordnung hinsichtlich „nicht hoheitlicher Flaggen“ geändert wurde. Es hat sich also gelohnt, dort in Richtung Land wirksam zu werden!
Im Übrigen noch mal ausdrücklich: im Rahmen dieser zwei Beschlüsse wurde klar und deutlich herausgestellt, dass die Regenbogenflagge nicht nur für uns ein überparteiliches Symbol darstellt, keiner bestimmten Partei oder Organisation exklusiv zugeordnet.
So viel also zu den Beschlusslagen.
Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: in der letzten Wahlperiode wurden vier Beschlüsse gefasst, die sich mit der Sichtbarmachung von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt beschäftigten. Vier!
In der gesamten Wahlperiode haben wir uns in 36 Sitzungen mit 804 Beschlussvorlagen beschäftigt. Achthundertundvier!
Ich bin es leid, dauernd gefragt zu werden, ob wir sonst nichts zu tun haben, dass wir uns mit Flaggen beschäftigen. Die Antwort ist: Doch, es gibt genug zu tun.
Und es wird und wurde ja auch alles getan, beraten und beschlossen, was auch getan, beraten und beschlossen worden wäre, wenn wir diese vier Beschlussvorlagen nicht hätten diskutieren wollen. Das ist der laufende Betrieb – da wird nichts rausgeworfen, um Platz für Nebensächlichkeiten zu schaffen.
Und ob wir uns nun 24 Punkte auf die Tagesordnung setzen oder 25, das dürfen alle Besorgten da draußen ruhig uns Stadtvertreterinnen und Stadtvertretern überlassen. Wir machen das alles im Ehrenamt und wir sehen zu, dass wir uns auf das konzentrieren, was notwendig ist.
Aber apropos „Nebensächlichkeiten“: Die zweite Frage, die immer wieder kommt, lautet: „Gibt es nicht wichtigere Dinge zu klären, als diesen Flaggenquatsch?“ Meine Antwort: Nein, gibt es nicht!
Wissen Sie, ich brauche für mein Selbstverständnis keine Symbolik. Ich bin hier, in dieser Stadt, in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts groß geworden. Und diese Zeiten prägten mich natürlich: Flaggenparaden, Straßen der Besten, FDJ-Hemden, Sozialistischer Wettbewerb – das alles hat uns nichts bedeutet. Nichts davon hat uns irgendwie bewegt – weder einer Sache näher gebracht, noch abgestoßen. Wir fanden das stinkelangweilig.
Für mich persönlich braucht es auch heute keine Symbolik. Aber für mich persönlich braucht es auch kein Schwimmbad, kein Kino und keinen Jugendklub, von Galerien ganz zu schweigen.
Aber das ist meine Privatmeinung. Ich bin Stadtvertreter – in dieser Rolle ist mir bewusst, dass es in meinem Ehrenamt um mehr geht, als meine Privatmeinung. Ich bin jetzt vier mal in Folge in die Stadtvertretung gewählt. Und zwar mit dem Auftrag, die Interessen der Wählerinnen und Wähler zu vertreten, sie wahrzunehmen, zu respektieren und zu prüfen. Und so ist mir klar, dass es sehr viele Menschen gibt, für die Schwimmbad, Kino, Jugendklub und Galerie natürlich und selbstverständlich zur kommunalen Daseinsvorsorge gehören.
Und Gleiches gilt auch für das Bedürfnis Vieler, die ersten Artikel des Grundgesetzes zur Würde des Menschen, seiner freie Entfaltung, der Gleichberechtigung oder dem Schutz von Minderheiten nicht nur zu leben, sondern dies auch irgendwie zu bekunden. Dafür stehen die Anträge der letzten Wahlperiode, anlässlich bestimmter Gedenk- und Feiertage vor dem Rathaus und als Willkommensgruß am Bahnhof die Regenbogenflagge zu hissen. Eigentlich nichts Besonderes, eine Selbstverständlichkeit. Allerdings nicht für alle.
Und deshalb noch einmal: Solange das eigentlich selbstverständliche Bekenntnis zu unserem Grundgesetz und seine ersten Artikel durch den Dreck gezogen wird, gibt es tatsächlich keine wichtigere Frage, als die nach der Haltung zu Menschenwürde, Gleichberechtigung und Minderheitenschutz.
Am Ende noch etwas zum Beschlusspunkt 3: Dieser beauftragt die Stadtverwaltung, Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft zu fördern und sichtbar zu machen.
In den Reihen der Antragsteller:innen gibt es schon unterschiedliche Ideen, welche Straße bunt angemalt oder welches Gebäude illuminiert, wo finanziell gefördert oder welche weitere Flagge aus welchem Anlass wann gehisst werden könnte. Aber Förderung und Sichtbarmachung geht nach unserem Verständnis über Symbolik hinaus.
Das fängt zunächst einmal damit an, den von uns heute noch einmal bekräftigten Beschluss vom letzten Jahr umzusetzen. Dort wurde formuliert: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit der Partnerschaft für Demokratie das Austauschformat „Miteinander-Tour“ für das Zusammenleben und die Kommunikation in den sozialen Netzwerken zu initiieren.“
Nach meiner Einschätzung hat bei all den Nebenschauplätzen der letzten 12 Monate der Fokus der Tätigkeit in der Stadtverwaltung irgendwo anders gelegen, von einer „Miteinander-Tour“ habe ich jedenfalls seit der Beschlussfassung nichts mehr gehört.
Insofern freuen wir uns auf die Diskussionen in Ausschüssen oder anderen Gruppen. Das sind die Plätze, wo die inhaltliche Diskussion hingehört, um dann Ende Mai 2025 eine entsprechende Vorschlagsliste abstimmen zu können.
Vielen Dank.
Ich bitte um Unterstützung sowie Zustimmung zum Antrag und freue mich jetzt auf weitere, inspirierende und ergänzende Beiträge.
Soweit meine persönlichen Worte. Im Auftrag meiner Fraktion beantrage jetzt noch namentliche Abstimmung.