Ein Beitrag von Ratsherr Dr. Robert Northoff

Eine Kreisstadt im Nordosten. Anfang Mai 2020. Sitzung einer Stadtvertretung. Alle Vertreter sind anwesend. Der direkt gewählte und nicht parteilich gebundene Oberbürgermeister hat die Einberufung dieser ersten Post Corona Reallife Time Sondersitzung beantragt und alle Stadtvertreter/innen sind gekommen. Denn der Anlass ist nicht ohne. Dem Geschäftsführer des großen, zu 100% städtischen, als GmbH organisierten, Wohnungsbauunternehmens soll fristlos gekündigt werden. Ihm wird in einer umfangreichen und detaillierten Vorlage Untreue vorgeworfen, er soll als Geschäftsführer dem Stadtverband der CDU, dessen Vorsitzender er ist, formlos und kostenlos über mehrere Jahre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben, obwohl dies normalerweise mit einer vertraglich zu vereinbarenden Vergütung verbunden ist, es gebe kein Vertrauen mehr.

Mich als Stadtvertreter treibt ein widersprüchliches Gefühl um, denn ich mag diese Stadt, ihre Bürgerinnen und Bürger, die mich in der letzten Wahl in die Verantwortung genommen haben, aber das, was hier berichtet und dann in der Zeitung auch in einen Zusammenhang mit früheren Vergabeunregelmäßigkeiten eingeordnet wird, das muss aufgeklärt werden. Selbst das lokale Fernsehen ist da, denn die lokale Zeitung hatte ihre Leser mit an sich vertraulichen Informationen zuvor angefüttert. Und ich frage mich, wer wohl an einer Veröffentlichung ein Interesse haben könnte. So bin ich gespannt, was nach dem üblichen Vorgeplänkel dann in der Stadtvertretung geklärt, diskutiert und entschieden werden soll.

Dann, bei der Abstimmung über die Tagesordnung, der Hammer, eine Sprecherin der Linksfraktion beantragt, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen, da am Abend des Tages zuvor der von einem Vertreter der Linken präsidierte Aufsichtsrat bereits entschieden habe und sich die Stadtvertretung daran halten möge. Das ist offenbar mit der CDU besprochen, vielleicht auch mit der AFD, wie sich später zeigen wird. Ich brodele, nehme dann aber enttäuscht zur Kenntnis, dass nach § 29 Abs. 1 der Kommunalverfassung MV (KV) Tagesordnungspunkte mit der Mehrheit der Stadtvertretungsmitglieder von der Tagesordnung genommen werden können, wenn denn der Antragsteller vorher Gelegenheit hatte, seinen Antrag zu begründen. Immerhin, da platzt es bei einem meiner Mitstreiter, einem Pastor, heraus, dass es undemokratisch sei, dieses wichtige Thema dem gemeinsamen Gespräch zu entziehen und dass er deswegen entsetzt ist.

In der nachfolgenden nichtöffentlichen Sitzung begründet der OB detailliert seine Entscheidung, das macht mich erst recht neugierig, warum sollen wir darüber nicht reden dürfen, mich drängt es, das zu thematisieren, ich erhalte vom Stadtpräsidenten (CDU) den rechtlich nach § 29 KV zutreffenden Hinweis, dass eine Diskussion hier bei der Entscheidung über die TO nicht möglich sei. Dann wird straight abgestimmt. CDU, die Linke und die AFD stimmen nahezu geschlossen für den Antrag, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen. SPD und Grüne stimmen dagegen, sind aber in der Minderheit.

Was für eine Dominanzkoalition? Was ist denn der gemeinsame Nenner einer AFD gestützten Linke-CDU, von manchen auch als LinksCDU bezeichneten, Koalition? Nun gut man kennt sich, das ist mir zu wenig. Nun gut, vielleicht hat man eine gemeinsame Geschichte, aber 30 Jahre nach der Wende sollte man nicht nachtragend sein. Oder hat man heute gemeinsame dogmatische Positionen, die einer offenen Diskussion nicht zugänglich sind? Und was macht die AFD da? Nun, niemand kann und muss vielleicht auch nicht verhindern, dass die AFD eine Entscheidung mitträgt. Aber in Thüringen hatte es dazu vor kurzem noch einen Aufschrei gegeben. Und wie ernst kann man eine Partei nehmen, die doch die Kritik der Intransparenz der bürgerlichen Parteien zu ihrem Hauptthema macht und sich bei der ersten Gelegenheit dazu schweigend eintaktet?

Und wie ist die Rechtslage? Der OB konnte gem. § 38 KV angesichts der Dringlichkeit als Vertreter des Alleingesellschafters, der Stadt (§ 71 KV), zur Vorbereitung der Kündigung eine befristete Beurlaubung aussprechen. Und es war richtig, dass er alsbald die Stadtvertretung informieren und einbeziehen wollte.

Der Aufsichtsrat ist zwar grundsätzlich für Kündigungen und Ähnliches zuständig, er hat eine Abmahnung ausgesprochen und eine „Geldstrafe“ verhängt, so jedenfalls die Kommunikation im Außenverhältnis in der Zeitung. Eine Abmahnung ist eine mögliche Sanktion, wenn man den Vertrauensverlust nicht für gravierend hält, worüber sich natürlich streiten lässt, und eine Geldstrafe, der Aufsichtsrat ist kein Strafgericht, von Vertragsstrafen in Verträgen mit Aufsichtsräten habe ich noch nie gehört, oder ist ein Rückgriff auf den flexiblen Teil des Gehalts gemeint, das geht ja nun gar nicht, der ist doch von der Erbringung besonderer Leistungen abhängig und nicht davon, dass der Chef straffrei bleibt, ich bin gespannt.

Und der Aufsichtsrat ist nicht der Papst. § 69 Abs. 1 Nr. 4 Kommunalverfassung (KV) MV verlangt ausdrücklich, dass bei Unternehmen in Privatrechtsform die Gemeinde im Aufsichtsrat einen angemessenen Einfluss erhält. Die § 71 Abs. 1 Satz 5 der Kommunalverfassung MV regelt unmissverständlich, dass die Vertreterinnen der Gemeinde in Unternehmen (im Aufsichtsrat) den Weisungen oder Richtlinien der Gemeindevertretung zu folgen haben … die Begründung des Antrages zur Änderung der TO war also rechtlich nicht zu halten, aber selbst das durfte ich ja, weil keine Diskussion über die TO, nicht einbringen …

In den nächsten Tagen muss ich immer wieder an diese Sitzung denken. Das Nordmagazin nimmt das Thema wieder auf: „War das alles oder ist da noch mehr?“ Es zeigt sich verwundert, dass sogar die Debatte über eine Debatte verhindert werde. Ein offenbar Transparency International Deutschland nahestehender Professor erläutert, dass Transparenz der Feind der Korruption sei. Gerade in den Kommunen würden allerdings kommunale Unternehmenszentralen häufig zum zweiten Bürgermeister, es entstünden Abhängigkeiten, weil alle super verdrahtet seien, Sponsoring führe dann zu einer Sportlobby und Kulturlobby, es entstünden Abhängigkeiten vom Geldonkel.

Ja, ich kenne auch solche Beispiele, so allgemein. Da gibt es Insichgeschäfte, der parteigebundene Geschäftsführer eines Unternehmens schließt mit sich selbst als Vertreter der Partei einen Nutzungsvertrag ab, der Gesetzgeber hat das Problem in § 181 BGB gesehen und es zur Regel gemacht, dass dies nicht zulässig sei. Oder weniger kompliziert, es kommt zum Sponsoring für einen Verein, verknüpft mit der Erwartung der Wahlwerbung. Da werden unter Umgehung von Vorschriften Geschäfte mit Parteifreunden gemacht, ist doch klar, wer wiedergewählt werden möchte, muss auch mal was für die Seinen tun. Da werden auf einmal vergleichsweise hoch dotierte Aufsichtsratvergütungen gezahlt oder den Aufsichtsratsmitgliedern werden Workshops mit Wohlfühlkomponenten angeboten. Es sollen auch schon mal Arbeitsplätze und Posten denjenigen angeboten worden sein, die ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zeigen. Kein Wunder, das wir bei Transparency International weltweit nicht unter den TOP 10 sind, vor uns u.a. die skandinavischen Länder, Neuseeland, Singapur, Kanada.

Wenn das zur Gewohnheit wird, werden dann mit einfachen Mehrheiten alle Themen, bei denen eine Partei in einer Dominanzkoalition eine auch für sie kritische Diskussion erwartet, immer gleich von der TO genommen? Ist das dann ein Systemfehler, müssen wir das Gesetz ändern? Oder kann man da trotzdem was tun?

Der OB kann nach § 33 KV Widerspruch einlegen, wenn aus seiner Sicht ein Beschluss das Recht verletzt. Auf den ersten Blick sieht es aber ja danach nicht aus. Und die Frage, ob zur Vorbereitung des Beschlusses mit falschen Argumenten hantiert wurde, ist ja formaljuristisch bei der Entscheidung über die TO nicht vorgesehen.

Die Rechtsaufsicht? Sie soll nach den §§ 78 ff. KV die Rechte der Gemeinden schützen, sie beraten und ihre Verantwortungsbereitschaft fördern. Die Aufsicht mischt sich z.B. dann ein, wenn aus ihrer Sicht eine verschuldete Stadt zu hohe Investitionen für eine bessere Zukunft plant, denn in einer Schuldensituation müsse sparsam gewirtschaftet werden. Aber was macht die Aufsichtsbehörde, wenn die Demokratie gefährdet ist? Ob die wohl auch Zeitung lesen und diesen Hilfeschrei hören? Auch wenn das Ministerium von einem Vertreter der Dominanzkoalition geleitet wird?

Das Strafecht. Der OB denkt über eine Strafanzeige nach, eigentlich müsste eine Zeitung lesende Staatsanwaltschaft auch selbst darauf kommen. Ich war selbst mal Strafrichter, aber als Hochschullehrer mit Neigung zur Mediation fühle ich mich wohler. Ich hätte mir eigentlich eine vertrauliche Erörterung der Sache in der Stadtvertretung gewünscht und gerne auch über eine einvernehmliche Klärung nachgedacht. Aber das hat mir die Dominanzkoalition nicht erlaubt, nun liegt die Sache eben in anderen Händen.

Die Ethik. Das mit der christlichen Nächstenliebe, es handelt sich aber doch nur um einen kleinen Betrag, jeder macht mal Fehler. Ja, das stimmt, aber dann steht man auf, drückt sein Bedauern aus, erstattet den Schaden und stellt durch strukturelle Verbesserungen sicher, dass das nicht mehr vorkommt. In dem bekannten Fall der Kassiererin „Emmely“ ging es bei der fristlosen Kündigung um die Unterschlagung zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro. Wie ist das noch mit den Großen und den Kleinen? Wenn also das Gefühl entsteht, dass in einem undurchsichtigen Netzwerk systematisch Grenzlinien überschritten werden, dann gebietet Ethik doch was anderes, nämlich Minderheitenschutz und politische Hygiene.

Was bleibt uns noch? Die vierte Gewalt! Bin gespannt, welche Meinung die dazu hat…